„Ist der Kleine denn nun langsam trocken?“

„Ist der Kleine denn nun langsam trocken?“Diese Frage höre ich bei jedem zweiten Gespräch mit meiner Mutter und erkläre ihr jedes Mal von Neuem: „Nein, noch nicht. Er interessiert sich gerade überhaupt nicht für den Topf oder die Toilette und rennt immer weg, wenn ich davon anfange.“ Darauf folgt stets dieselbe Antwort: „Damals waren die Kinder schon mit einem Jahr trocken!“

Mein Sohn ist zwei und er hat gerade so viele andere Themen und immer Angst etwas zu „verpassen“, dass es wohl noch etwas dauern wird, bis er sich freiwillig auf den Topf setzt.

Doch ich lasse ihn, denn jedes Kind hat sein eigenes Tempo. Ich werde die warmen Tage nutzen, um ihn ohne Windel herumflitzen zu lassen und vielleicht wird er dann schneller trocken, als gedacht. Das Thema des Trockenwerdens ist in vielen Familien ein sehr großes Thema, es ist ja auch tatsächlich ein bedeutender Meilenstein im Leben eines Kindes.

Wusstet ihr, dass bereits Babys Signale senden, um zu zeigen, dass sie müssen und dass eine Windel eigentlich gar nicht nötig ist? In manchen Kulturen und zunehmend auch hier in Deutschland, ist windelfrei verbreitet. Dennoch sind Windeln im Allgemeinen kaum wegzudenken und sie entspannen deutlich das Familienleben.

Gerade im ersten Lebensjahr passiert so viel, die Eltern leiden unter Schlafentzug und wenn man sich dann auch noch permanent auf die „Pipi- muss- Signale“ konzentrieren möchte, kann das sicher sehr anstrengend werden. Ich bewundere Familien, die das tatsächlich schaffen. Dadurch, dass wir wissen, dass bereits Babys in der Lage sind ihren Körper und ihre Ausscheidungen so wahrzunehmen, dass sie sogar entsprechende Signale senden, hat sich in der Pädagogik ein anderer Umgang mit dem Trockenwerden entwickelt.

Das bedeutet, dass man erkannt hat, dass für das Trockenwerden eines Kleinkindes das an die Windelnutzung gewöhnt ist, nicht das Training sondern die Wahrnehmung des eigenen Körpers im Vordergrund steht. Es muss erst einmal wieder lernen, die Ausscheidungsfunktionen und die vorausgehenden Signale wahrzunehmen und mit uns zu kommunizieren, dass es muss. Wir können unterstützend fragen: „Musst Du auf die Toilette?“ oder „Hast Du gerade in die Windel gemacht?“ Durch diese Fragen, führen wir das Kind zu den Signalen des eigenen Körpers zurück.

Es geht um Körperwahrnehmung und Körperbewusstsein. Mit einem Kleinkind können wir über die Körperwahrnehmung sprechen: „Drückt es im Bauch, wenn Du auf Toilette musst? Spürst du etwas?“ Auch Kinderbücher, die sich mit Körperwahrnehmung beschäftigen, können das unterstützen. Das klassische Töpfchentraining spricht hingegen eher gegen die Körperwahrnehmung als Ziel: Beim Töpfchentraining werden Kinder nach bestimmten Zeitfenstern auf das Töpfchen gesetzt oder sollen darauf sitzen bleiben, bis sie ausgeschieden haben. So wurde es früher in den Krippen gehandhabt, doch wir arbeiten hier inzwischen viel bedürfnisorientierter, denn häufig führt ein Töpfchenzwang zu Frustration und Unwillen.

Moderne „Töpfchen“ bieten hierfür auch Belohnungssysteme an wie Musik. Aber auch Belohnungen, Loben, Hervorheben von anderen Kindern, die schon auf die Toilette gehen, oder andere Manipulationen sind nicht von Vorteil für das Kind. Wichtig ist tatsächlich die Ausbildung eines guten Körpergefühls bzw. die Rückkehr dazu, Signale des Körpers wahrzunehmen und entsprechend darauf zu reagieren.

Auch für die Beckenbodengesundheit ist es wichtig, dass wir bei Harndrang auf die Toilette gehen und nicht nach Situationen: Drängen wir Kinder vor dem Rausgehen dazu, auf die Toilette zu gehen, erlernen sie ein falsches Blasen-Drang-Gefühl und entwickeln kein gutes Bewusstsein dafür, wann die wirklich müssen.

Deswegen gilt: Nur dann auf Toilette, wenn man wirklich muss! Von großem Vorteil ist es, wenn das Kind den Impuls, ohne Windel sein zu wollen, selbst vorbringt.

Manchmal ist es für Eltern schwer, auf diesen Impuls zu vertrauen oder die Signale richtig zu deuten. Einige Kinder wehren sich sehr und wollen sich schlicht nicht mehr wickeln lassen. Andere Kinder drücken ihren Wunsch sprachlich aus oder ziehen die Windel einfach beständig selber wieder aus.

Wenn das Kind Anzeichen dafür zeigt, die Windel nicht mehr tragen zu wollen, sollten wir diese Signale ernst nehmen und darauf reagieren. Wir können mit dem Kind sprechen und Möglichkeiten anbieten. In einigen Fällen passiert es tatsächlich, dass das Kind die Entscheidung trifft und innerhalb weniger Tage auf einmal komplett windelfrei sein kann. Manchmal braucht es noch eine Weile, bis das Kind die Körpersignale richtig deuten kann. Trotzdem ist es gut, genau dann die Windelfreiheit anzubieten, wenn das Kind sie einfordert.

Hilfreich für den Übergang können dann so genannte Trainerhosen sein, die kleine Mengen Urin auffangen. Hat das Kind den Wunsch, keine Windeln mehr zu benutzen, lassen wir sie also bewusst einmal weg.

Zu Hause kann das Kind einfach nackt sein und den Gang auf das Töpfchen ausprobieren. Im Haus sollten wir dann die Umgebung passend vorbereiten, falls der Gang zur Toilette doch einmal zu lang wird – Teppiche und andere Auslegware können eine Weile zur Seite geräumt werden.

Ein Töpfchen kann für den Anfang auch im Spielzimmer stehen, damit der Weg nicht zu lang wird. Praktisch ist es, wenn die windelfreie Probierphase in wärmeren Monaten stattfindet und sich das Kind auch draußen nackt oder mit geeigneter Kleidung ausprobieren kann.

Sind Kinder sehr an die Windel gewöhnt, kann ihnen der Abschied manchmal auch sehr schwer fallen oder sie können ohne Windel tatsächlich nicht ausscheiden. Hier braucht es kreative Lösungsideen: Hilfreich kann es sein, wenn sich das Kind anfangs mit Windel auf das Töpfchen setzen kann oder in eine Windel ausscheidet. Wichtig ist auch hier: Das Kind und seine Bedürfnisse und Empfindungen annehmen und nicht negativ bewerten. Es ist ein Umstellungsprozess.

Manche Kinder sind nach der Umstellung tagsüber auch nachts schnell windelfrei, andere brauchen noch ein wenig. Das nächtliche Aufwachen wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Wichtig ist hier wirklich die Reifung, d.h. die Funktion des Schließmuskels und gleichzeitig der Umstand, dass das Kind durch die Rückmeldung der Blase an das Gehirn aufwacht.

Manche Kinder schlafen so fest, dass sie trotz des Harndrangs nicht aufwachen, oder dass das  für die Hemmung der nächtlichen Harnproduktion zuständige Hormon ADH noch nicht ausreichend gebildet wird oder die Blase ist noch zu klein. Wichtig ist auch hier: kein Stress, keine Erwartungshaltung und kein negatives Feedback.

Ist das Kind im Vorschulalter, kann auch eine Abklärung beim Arzt helfen, um andere Ursachen auszuschließen. Aber letztlich müssen wir Eltern unsere Kinder begleiten und verstehen. Der Weg weg von der Windel ist ein großer und wichtiger Meilenstein, den wir nicht erzwingen können oder sollten, sondern auf dem wir unser Kind – wie auch sonst – an die Hand nehmen und es individuell begleiten sollten.

Das Kind gibt die Richtung und das Tempo vor und wir müssen entweder Schritt halten oder unseren Schritt verlangsamen – je nach Kind und Temperament und Bedürfnissen. Vor allem aber sollten wir bei welcher Gangart auch immer, Verständnis und Einfühlungsvermögen mitbringen. 

Quelle: Text inhaltlich angelehnt an: S. Mierau „Geborgene Kindheit“; Kösel-Verlag; 3. Edition (22. Mai 2017); S. 67.

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